Mani pulite

on 12 13, 2010

manipulite

Im Frühjahr 1929 erschien in der “Weltbühne” ein Artikel mit dem Titel “Windiges aus der deutschen Luftfahrt”. Darin wird der heimliche Aufbau einer deutschen Luftwaffe durch die Reichswehr unter Umgehung des “Versailler Vertrages” geschildert. Gut zwei Jahre später wurden der Autor des Artikels sowie der Herausgeber der “Weltbühne“, Carl von Ossietzky, wegen Landesverrats und wegen Verrats militärischer Geheimnisse angeklagt. Der spätere Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky saß wegen Verrats militärischer Geheimnisse 227 Tage in Haft.

1936 blieb Ossietzkys Stuhl bei der Preisverleihung in Oslo ebenso leer wie 74 Jahre später der für Liu Xiaobo – dieser, weil er für seinen Einsatz für die Menschenrechte in China 500 km von seiner Heimatstadt Peking entfernt in einem Gefängnis “wegen Untergrabung der Staatsgewalt” eingesperrt ist, und jener, weil er, gezeichnet von der schweren Folter im KZ Esterwegen, von der Gestapo daran gehindert wurde, den Preis  persönlich anzunehmen.

Im Herbst 1962 erschien im “Spiegel” ein Artikel mit der Überschrift “Bedingt abwehrbereit”. Unter Berufung auf Ergebnisse eines NATO-Manövers aus dem selben Jahr zog der Artikel den Schluss, dass die Bundeswehr unter Führung von Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß zu einer konventionellen Verteidigung konzeptionell nicht in der Lage sei, sodass im Ernstfall ein Angriff nur mit Hilfe westlicher Atomraketen abzuwehren wäre.

Zweieinhalb Wochen nach Erscheinen des Artikels war die Redaktion des “Spiegel” für mehrere Wochen von der Staatsanwaltschaft besetzt, einige Redakteure sowie ihr Chefredakteur und Herausgeber Rudolf Augstein verhaftet. Der Autor des Artikels, Conrad Ahlers, wurde auf Veranlassung von Franz Josef Strauß von einem spanischen Militärattaché des faschistischen Franco-Regimes in seinem Urlaubsort verhaftet. Kanzler Adenauer sprach im Bundestag “von einem Abgrund von Landesverrat” – wohlgemerkt: durch die Journalisten. Rudolf Augstein saß 103 Tage in “Untersuchungshaft”.

Am 28. November 2010 veröffentlichte die Internetplattform “WikiLeaks” die “US-Botschafts-Depeschen” – bestehend aus über einer Viertelmillion Seiten interner Berichte und Lagebeurteilungen der US-Diplomatie aus den Jahren 1966 – 2010. Wie schon bei früheren “Wikileaks“-Veröffentlichungen kommen auch diesmal Fakten an die Öffentlichkeit, die für verschiedene Regierungen unbequem sind -  darunter Informationen über eine im Herbst 2008 wegen Piraterie geplatzte Panzerlieferung in den krisengeschüttelten Südsudan und die Rolle Kenias, der Ukraine und der Vereinigten Staaten in diesem Deal.

Am 7. Dezember 2010 wird der “WikiLeaks“-Gründer Julian Assange wegen eines am 3. Dezember erlassenen schwedischen Haftbefehls in London festgenommen, nachdem ein vorhergehender Internationaler Haftbefehl, der wegen eines schwedischen Formfehlers nach einer Beschwerde von Assange außer Kraft gesetzt war, auf einen schwedischen Haftbefehl folgte, der wegen fehlender Verdachtsgründe von der Stockholmer Staatsanwältin längst aufgehoben worden war.

Der “WikiLeaks“-Gründer sitzt in grauer Sträflingskleidung mit Laptop-Verbot in einer Einzelzelle in Londoner Polizeigewahrsam – bislang ohne die  Möglichkeit einer Freilassung auf Kaution. Währenddessen suchen Länder wie Schweden, Australien und die Vereinigten Staaten nach Gesetzen, die es ihnen ermöglichen würden, eine Anklage zu formulieren und eine Auslieferung zu  erwirken.

Internationale Unternehmen wie Mastercard, Amazon und Paypal beenden auf politischen Druck hin die  Zusammenarbeit mit “WikiLeaks“. In einem Interview  des “Tagesspiegel” vom 6. Dezember 2010 mit dem  “Zeit“-Herausgeber Josef Joffe wird Julian Assange als Staatsfeind Nr. 1 in einem Atemzug mit Osama bin Laden genannt. US-Senator Mitch McConnell, Fraktionschef der Republikaner im US-Senat, nennt Assange einen “High-Tech-Terroristen”, der hinter Schloss und Riegel gehöre. US-Senator Joe Lieberman regt an, den “Espionage Act”,ein US-Anti-Spionage-Gesetz, durch zwei Gesetzesvorlagen um Passagen zu erweitern, die es dann ermöglichen würden, Julian Assange und auch gleich noch die “New York Times” anklagen zu können – frei nach dem fröhlichen Bruch des  rechtstaatlichen Grundsatzes: nulla poena sine lege (“keine Strafe ohne Gesetz”).

Immer, wenn Verfechter des freien Wortes eingesperrt werden, haben Macht und Militär ihre schmutzige und oft blutbefleckte Hand im Spiel. Immer. Und sie biegen sich das Gesetz, wie sie es brauchen. Bis es bricht. Und dann machen sie sich ein neues.

Es wird Zeit, dass das endlich aufhört.

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